Die Commons als Weg für Philanthropie zur Katalyse des Systemwandels

von den Einberufern der Arbeitsgruppe EDGE commons: Nicolas Krausz (Stiftung Charles Leopold Mayer), Heike Löschmann (Heinrich-Böll-Stiftung) und Vivian Paulissen (Europäische Kulturstiftung)

commons wordle2In ihrem Bestreben, einen tiefgreifenden, progressiven Wandel in der Gesellschaft zu fördern, wird der Philanthropie oft vorgeworfen, sich mit den Symptomen und nicht mit den Wurzeln der Probleme zu befassen. Mit anderen Worten: Wir scheinen kurzfristige und auf ein einziges Problem bezogene Strategien, transaktionale Reformen und technische Lösungen zu fördern, die letztlich die Logik des herrschenden Systems verstärken, anstatt zu versuchen, ein neues aufzubauen.1. Das derzeitige System ist natürlich das allgegenwärtige Marktparadigma, das die Bürger Schritt für Schritt in Verbraucher und das Gemeinwohl in eine utopische Vorstellung von unendlichem Wirtschaftswachstum verwandelt hat.

Wenn wir diese Kritik ernst nehmen, müssen zwei grundlegende Fragen beantwortet werden: Kann das System geändert werden? Und wie könnte die Philanthropie dazu beitragen, eine transformative Agenda voranzutreiben?

Auf die erste Frage lautet die Antwort: Ja, offensichtlich ist ein Paradigmenwechsel möglich! In der Tat findet er bereits an zahllosen Orten und Projekten auf der ganzen Welt statt. Das größte Problem ist, dass die Lösungen direkt vor unserer Nase existieren, wir aber die Muster der Möglichkeiten, die sie uns bieten, nicht erkennen.

Als Geldgeber, die sich in diesem Bereich engagieren, glauben wir, dass der Diskurs und die Konzepte der Commons einen Weg nach vorne bieten. Er bietet einen praktischen, nicht-ideologischen Weg, um gleichzeitig das Versagen der neoliberalen Wirtschaft und des modernen bürokratischen Staates ("Markt/Staat") und deren Unfähigkeit, ökologische Bedürfnisse zu erfüllen und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, anzugehen.

Aber die Commons sind nicht nur eine Kritik. Sie bestehen aus vielen höchst generativen, vielfältigen und partizipativen Lösungen, die weitgehend unabhängig von Markt und Staat sind. Commons werden bereits in ganz Europa umgesetzt - in kollektiv verwalteten Wohnungen, Wassersystemen, landwirtschaftlichen Flächen, Internetgemeinschaften, alternativen Währungen und partizipativ verwalteten Institutionen.

Im Hinblick auf die Regierungsführung sind Commons eine wichtige Antwort auf die Krise der Demokratie. In den meisten westlichen Ländern ist das repräsentative Wahlsystem erschöpft. Die Bürger sind zunehmend frustriert und möchten direkter in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Öffentlich-private Partnerschaften sind weniger ein Triumph der Verbindung von öffentlicher Macht und Unternehmergeist als vielmehr eine Vereinnahmung des Staates und des Gemeinwohls.

Vielversprechende Antworten sind wahrscheinlich auf lokaler Ebene zu finden. Städtische Gemeingüter gedeihen zum Beispiel in ganz Europa. Manchmal handelt es sich um Besetzungen öffentlicher Räume, wenn Privatisierung oder Kommerzialisierung einen kulturellen Ort (Teatro Valle in Rom) oder eine Grünfläche (Gezi-Park in Istanbul) bedrohen. Mehr und mehr entstehen Commons aber auch durch lokale Experimente, die von den Stadtverwaltungen unterstützt werden, wie etwa die Urban Commons Charters in Italien, die Bürgergruppen und Stadtviertel dazu einladen, mit Unterstützung der Stadtverwaltung die Verantwortung für Parks, Nachbarschaftsräume, Sozialdienste und Kindergärten zu übernehmen. Darüber hinaus gibt es bürgerschaftliche Organisationen, die sich für Gemeingüter engagieren, wie die "Assembly of the Commons"-Projekte in Gent, Lille und Toulouse sowie die "Chamber of the Commons" in Chicago.

Diese neuen Formen von Public-Commons-Partnerschaften führen zu neuen rechtlichen Innovationen und Verwaltungseinheiten, wie z. B. die Verwaltung des Wassersystems in Neapel durch die Acqua Bene Comune. Die auf Gemeingüter ausgerichteten kommunalen Koalitionen in einer Reihe spanischer Städte, wie z. B. die En Comu-Koalition in Barcelona, haben ebenfalls eine Reihe innovativer Experimente zur Verwaltung von Gemeingütern auf den Weg gebracht. Das von David Bollier kuratierte Wiki Recht für die Gemeingüter ist ein erster Versuch, einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der heutigen gemeinschaftsbasierten Rechtsinnovation zu geben.

Commons-basierte Projekte sind für Mainstream-Ökonomen oft verwirrend, weil sie so grundlegende neoliberale Prämissen wie das Knappheitsprinzip in Frage stellen. Ja, bestimmte Ressourcen bleiben endlich, aber durch die Commons-Linse betrachtet, in der der Gebrauchswert den Tauschwert übertrumpft, gibt es keine Notwendigkeit, ein Überangebot oder eine unbegrenzte Menge an Land, Energie, Wasser oder Geld zu haben. Genügsamkeit kann zu einem operativen Prinzip werden.

Die Commons bieten alle möglichen nicht-marktwirtschaftlichen Mittel, um die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Die Peer-to-Peer-Mechanismen, die ein offenes Internet2 ermöglicht, bieten beispielsweise eine Infrastruktur für alle Arten von Dienstleistungen, von Softwarecode und Wikipedia-Wissen bis hin zu gemeinsamem Design und Fertigung auf der Grundlage von Open-Source-Prinzipien. Die kollaborative Wirtschaft, die Geschenkökonomie und die Peer-Produktion werden zu den neuen Realitäten einer wiederbelebten Sozial- und Solidarwirtschaft.

Angesichts solcher Entwicklungen bricht der Mythos der kapitalistischen, proprietären Innovation zusammen. Die Kreativität von Peer-to-Peer-Kollaborationen hat sich als viel effizienter als das Unternehmenssystem3 und auch als nachhaltiger erwiesen, da sie nicht von der geplanten Obsoleszenz von Produkten abhängt. Fablabs und andere Makerspaces erweitern den Bereich des offenen Designs und der Hardwareproduktion. Die große Frage ist, ob diese Arten von nicht gewinnorientierten Aktivitäten florieren können oder ob sie von typisch kapitalistischen Unternehmen wie Uber und Airbnb, die ihre Gewinne nicht in die Commons reinvestieren, vereinnahmt werden.

Über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus bringen die Commons einen gewaltigen kulturellen Wertewandel mit sich. Während sich die kapitalistische Sichtweise auf den Wettbewerb und die individualistische Gewinnmaximierung konzentriert, stellen die Commons die integrative Teilhabe, Kooperation und Zusammenarbeit in den Mittelpunkt ihrer Vision der Menschheit4. Diese kulturelle Vision und Weltsicht ist nicht neu; sie stützt sich auf heterodoxe Historiker wie Edward P. Thompson und Peter Linebaugh von der Schule der "Geschichte von unten "5 und reicht bis zu Ökophilosophen wie Andreas Weber und Kulturaktivisten wie Banksy, die die Künste als Mittel der Volksbildung und Bürgerbeteiligung betrachten.

Bei den Commons geht es darum, einen Rahmen für eine freie, faire und nachhaltige Gesellschaft zu schaffen - das ist ein anspruchsvoller Dreiklang! Natürlich sind die Commons keine Einheitslösung, sondern sehen jede Commons ausdrücklich als eine einzigartige historische und kulturelle Schöpfung. Die Commons helfen uns, uns funktionale, lokal angepasste Lösungen vorzustellen, die nicht allein vom Staat abhängen.

Auf die Frage, welche Rolle die Philanthropie bei der Förderung von Commons spielen kann, lautet unsere Antwort, dass die Philanthropie stärker auf einen Systemwandel ausgerichtet sein muss. Das bedeutet, Risiken einzugehen und sich vom Mainstream, den "respektablen" Vorstellungen von Politik und Politik zu verabschieden. Ein Systemwandel erfordert die Bewältigung so vieler Herausforderungen und so vieler miteinander verbundener Krisen, dass wir unsere Komfortzone verlassen und eine unabhängigere, mutigere Art des Grantmaking entwickeln müssen. Mit anderen Worten: Wenn wir nicht Teil des Problems sein wollen, müssen wir uns an der Entwicklung der Lösungen beteiligen.

Wie wir an den Commons-Alternativen sehen können, ist ein solcher Systemwechsel keine Utopie. Es gibt sie bereits. Aber sie sind meist im Untergrund, verstreut und mit zu wenig Mitteln ausgestattet. Philanthropische Gelder werden dringend benötigt, um sowohl die politischen und kulturellen Grundlagen dieses neuen Paradigmas zu stärken - durch Denkfabriken, politische Forschung und andere Zusammenkünfte - als auch die damit verbundenen Praktiken und sozialen Innovationen durch die Koordinierung unter den europäischen Gemeingütern weit zu verbreiten.

Unsere Stiftungen haben die Initiative ergriffen, diese beiden Herausforderungen anzugehen, indem sie eine Arbeitsgruppe zu den Commons innerhalb der EDGE Funders Alliance in Europa ins Leben gerufen haben. Unsere drei erwarteten Ergebnisse:

  • Ein tieferes Verständnis der verschiedenen Bürgerbewegungen und -gruppen in Europa sowie der Herausforderungen und Möglichkeiten
  • Zusammenarbeit mit anderen europäischen Stiftungen bei der Entwicklung einer translokalen und europäischen Advocacy-Agenda für die Commons
  • Das Engagement großer Stiftungen für die Förderung gemeinschaftsorientierter Initiativen in den Jahren 2016, 2017 und darüber hinaus, einschließlich kollektiver Strategien wie koordinierte oder gebündelte Finanzierung, kollektive Zusammenkünfte und Veröffentlichungen

Die EFC und ihre Mitglieder sind herzlich willkommen! Schließen Sie sich uns an und lassen Sie uns gemeinsam eine Reise zum systemischen Wandel mit den Commons antreten!

 

Weitere Ressourcen:

Fußnoten:

  1. Siehe zum Beispiel das Kapitel 6 " Re.imaging funding " des Buches Smart CSOs Re:imagining activism. Ein praktischer Leitfaden für den großen Wandel
  2. Natürlich ist der Kampf um die Neutralität des Internets die Mutter aller Schlachten des 21. Jahrhunderts. Obwohl die Netzneutralität kaum beworben wird, ist sie regelmäßig durch den Druck der Telekommunikationsunternehmen bedroht.
  3. Siehe z. B. Yochai Benkler, The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom(Yale University Press, 2006).
  4. Eine der besten Dokumentationsquellen für die kulturellen Gemeingüter sind die Veröffentlichungen der Europäischen Kulturstiftung, insbesondere das Buch Build the City: perspectives on Commons and Culture(http://www.culturalfoundation.eu/library/build-the-city-book).
  5. Beide schrieben über die Commons-Bewegung und ihre Ursprünge: siehe z. B. The Magna Carta Manifesto: Liberties and Commons for All (P. Linebaugh) und Whigs and Hunters: The Origin of the Black Act (E. P. Thompson)

(Zuerst veröffentlicht als Spotlight-Blogpost mit dem Europäischen Stiftungszentrum)